Triumph in Le Mans.
Le Mans. 24 Stunden bei widrigsten Bedingungen. Mensch und Maschine am Limit, zweimal rund um die Uhr. Von Samstag, 12 Uhr, bis Sonntag, 12 Uhr. Die Fahrer kämpfen sich durch Nacht und Regen, die Crew gibt in der Box hellwach alles. Und am Ende: Ganz oben auf dem Podium. Das private BMW Team GERT56 by GS YUASA hat bei den berühmten „24 Heures Motos“ in Le Mans seinen wohl bisher größten Erfolg gefeiert – den Sieg in der Superstock-Klasse der FIM Endurance World Championship (FIM EWC). Im Sattel der #56 BMW S 1000 RR wechselten sich Stefan Kerschbaumer, Lucy Glöckner und Toni Finsterbusch ab. Im Interview mit Teamchef Karsten Wolf blicken wir noch einmal zurück auf den Triumph in Le Mans.
Karsten Wolf im Interview.
Karsten, wie war der Moment, als die #56 BMW S 1000 RR in Le Mans über die Ziellinie gefahren ist?
Karsten Wolf: „Der Moment, in dem das Bike über die Ziellinie fährt, ist ja immer dadurch geprägt, dass das Team auf die Boxenmauer springt, und ich stehe eigentlich immer dahinter und schaue auf die Rücken und auf die Glückseligkeit – und mache die ersten Fotos. Ich gehe da auch nicht mit hoch, sondern bin einfach nur von diesem Moment ergriffen. Viel wichtiger sind eigentlich die letzten zehn Minuten, bevor das Motorrad durchfährt. Diese Anspannung in der Box, die Hoffnung, dass es dann reicht, da geht dir alles durch den Kopf. Und da ist auch noch relative Ruhe. Bei der Zieldurchfahrt selbst herrscht sehr viel Trubel, so dass für mich der emotionalste Moment die letzten zehn Minuten im Rennen waren. Da sind die vergangenen Jahre an mir vorbeigegangen. Und wenn wir ganz ehrlich sind: Wir machen diesen Sport für diesen einen Moment in Le Mans. Du kannst alle Tennisturniere gewinnen, wenn du Wimbledon nicht dabeihast, ist es nicht komplett. Du kannst alle Radrennen der Welt gewinnen, wenn du die Tour de France nicht gewonnen hast, bist du nicht komplett. Und so ist das auch bei uns. Du kannst Le Castellet gewinnen, was uns 2018 gelungen ist, du kannst in Malaysia gut fahren, in Oschersleben – aber Le Mans zu gewinnen, das ist genau das Ding. Und dieser Moment war nach so, so vielen Jahren jetzt da.“
Der Sieg der Siege....
Wolf: „Der Sieg der Siege – für mich ganz persönlich zählt er mehr als eine gewonnene Meisterschaft. Denn es ist das traditionsreichste Rennen, es ist dieser Klassiker. Zusammen mit dem gewonnenen Bol d’Or 2018 haben wir als Team den Nachweis erbracht, beide 24-Stunden-Rennen gewinnen zu können. Das ist eine Art Grand Slam im Langstreckensport. Wir haben bewiesen, dass wir unter den schwierigsten Bedingungen, wie dem Monsunregen in Malaysia, am stärksten sind. Wahrscheinlich haben wir nicht das beste Equipment oder die beste Ausstattung, aber scheinbar sind wir als Mannschaft so stark, dass wir vor allem, wenn es Probleme gibt wie beim Rennen in Le Mans, mit wechselnden Wetterverhältnissen, mit diesen Sturzorgien, dass wir bei solchen Bedingungen am besten sind.“
Für mich ganz persönlich zählt das mehr als eine gewonnene Meisterschaft.
“Karsten Wolf
Die #56 BMW S 1000 RR
Ab wann im Rennen wusstet ihr, dass es mit dem Sieg klappen könnte? Ihr seid ja auch nicht ganz reibungslos durchgekommen...
Wolf: „Diesen Moment gibt es in einem 24-Stunden-Rennen gar nicht. Das ist kein Kokettieren – diesen Moment gibt es nicht. Der Ausfall der Werks-BMW zwölf Minuten vor Schluss hat uns noch einmal gezeigt, wie demütig man an diese Aufgabe, an diese Challenge herangehen muss und wann so ein Rennen endet. Wir haben schon oft speziell in den letzten zwei Stunden Veränderungen im Klassement gesehen. Hier war es auch wieder so. Die Müdigkeit am zweiten Tag, die Erschöpfung der Fahrer plus die Wetterkapriolen genau in der letzten Rennstunde, plus das große Starterfeld mit Überrundungen.... Man kann in der letzten Runde an den Sieg glauben. Die Umstellung von Attacke auf Halten erfolgte im Rennen, als wir die Führung in der Klasse übernommen haben. Das war unser Ziel, und durch die Stürze und Fehler unserer Mitbewerber hatten wir zwei und vier Runden Vorsprung auf unsere beiden nächsten Verfolger. Ab diesem Moment haben wir natürlich taktisch umgestellt. Sowohl in der Risikobewertung der Fahrer als auch im Reifen- und im Benzinmanagement. Ab diesem Moment haben wir Sicherheitsvarianten gewählt.“
Was waren die Schlüssel zum Erfolg?
Wolf: „Beim Le-Mans-Sieg kann man das relativ gut zusammenfassen. Es sind nur ganz wenige Teams ohne Sturz durchgekommen. Sturz bedeutet im Langstreckenrennen das Zurückbringen des Motorrads entweder mit dem Lumpensammler oder auf dem Rettungsweg plus die Reparatur. Es bedeutet also einen sehr, sehr hohen Zeitverlust. Diesen Sturz hatten wir dieses Mal nicht. Das war der eine Schlüssel zum Erfolg: nicht zu stürzen. Die technischen Probleme mit dem Dashboard und der Fußraste, die wir hatten, das ist für uns mehr oder weniger Routine. Das macht uns nicht mehr so nervös, das wird in wenigen Minuten abgearbeitet. Der zweite Schlüssel zum Erfolg: Wir sind mit vier Fahrern angereist. Wir sind nicht mit drei plus eins angereist, also drei Stammfahrern und einem Ersatzfahrer, sondern ich wusste: Wenn wir um den Titel oder den Sieg in Le Mans kämpfen wollen, dann muss der Plan B genauso gut sein wie der Plan A. Deshalb haben wir im Winter Toni Finsterbusch als Ergänzungsfahrer verpflichtet, und ich schätze an ihm seine Regenqualitäten. Als ich mich dann am Freitagnachmittag festlegen musste, welche drei der vier Fahrer fahren werden, habe ich eine Mischung gemacht aus dem Wetterbericht, der Regenperformance in der Trainingswoche und dem Ausnutzen der Reifen für das Stockmotorrad. Und es ist mir menschlich sehr schwer gefallen, Pepijn Bijsterbosch nach Hause zu schicken, und ich bedanke mich bei ihm noch einmal ganz herzlich für seinen Einsatz. Aber das Rennen hat gezeigt, dass Toni Finsterbusch einer der Schlüssel zum Erfolg war. Nicht zu stürzen und Tonis Performance in der Startphase und im Regen waren wichtige Faktoren. Dazu kommt: Wenn ich Lucy Glöckner im Regen rausschicke, haben wir ebenfalls ein Pfund. Sie ist einer der besten Regenpiloten der Welt. Dann möchte ich noch Stefan Kerschbaumer erwähnen, der ein Motorrad in der letzten Rennstunde nach Hause bringen kann wie kein anderer. Die Mannschaft hat einen absoluten Ruhepuls, wenn Stefan das Motorrad übernimmt. Vertrauen, Erfahrung und absolute Routine – das waren die Schlüssel.“
Die #56 BMW S 1000 RR
Was macht die Stärken der BMW S 1000 RR im Langstreckensport aus?
Wolf: „Das lässt sich sehr einfach erläutern. Wir haben die gesamte bisherige GERT56-Ära seit 2016 mit der K46 bestritten. Zu den großen Stärken der K46 gehört vor allem ihre hervorragende Reparaturfreundlichkeit, was das Wechseln der Räder betrifft, den einfachen Aus- und Einbau, die Zugänglichkeit und die Robustheit der Bauteile. Dazu kommt, dass sie im Sturzverhalten so robust ist, dass man nur wenige Baugruppen wechseln muss. Der Rest, wie zum Beispiel ein stabiler Gabelvorbau und eine stabile Schwinge, machen das hervorragende Paket komplett. Und der Motor im Serientrimm, den wir in der Superstock-Klasse fahren müssen, ist so stark, dass sogar wir mit dem Serienmotor an die Werksmannschaften in der Superbike-Klasse heranfahren können. Dies haben wir zum Beispiel 2019 in Le Mans gezeigt, als Julian Puffe Trainingsbestzeit gefahren ist. Es ist also eine Mischung aus Reparaturfreundlichkeit, was für den Laien vielleicht komisch klingt, was für einen Langstreckensportler durch die lange Renndauer aber von absoluter Bedeutung ist, das gute Wechseln der Bauteile und die absolut stabile Technik, was Motor und Peripherie betrifft. Ein optimaler, stabiler Langstreckendampfer.“
Das Private und Familiäre auszureizen, diesen Spaß in Leistung umzusetzen, ist genau mein Ding.
“Karsten Wolf
Eine weitere Stärke eures Teams: Es ist eine eingeschworene Gemeinschaft, die weit über das Sportliche hinausgeht. Ist es eine große Familie?
Wolf: „Ja, es geht darum, wie man sich dem Sport nähert. Endurance ist gekennzeichnet durch eine große Mannschaft, durch sehr lange Verweilzeiten an der Rennstrecke – wir sind immer über eine Woche an der Rennstrecke – und durch hohe Stressfaktoren, weil wir bis zu 20 Leute in der Box sind. Und damit das unter Müdigkeit, unter Stress und unter Enge gut funktioniert, brauchst du eine ganz, ganz tiefe menschliche Basis. Wenn du dann mit Söldnern arbeitest, dann kann ein Schulterrempler zur Explosion werden. Das gibt es bei uns nicht. Das Grundverständnis für den anderen, der Respekt vor der Arbeit des anderen, die sind bei uns so tief drin. Und mir war immer schon wichtig, dass ich nie ein Angestelltenverhältnis zu den Teammitgliedern habe. Denn dann verlierst du das ‚Bitte’ und ‚Danke’. Und da bei uns als Privatteam keiner finanzielle Interessen hat, ist natürlich der Umgang auch ganz anders. Du musst jemanden bitten, etwas für dich zu tun, und du bedankst dich dafür. Und das ist der Unterschied. Man hat mir mal gesagt, dass das nicht professionell sei und dass ich Leute anstellen muss, dann kann ich über sie bestimmen. Und genau das habe ich nie gemacht. Das wäre dann auch nicht mehr mein Sport. Das Private und Familiäre auszureizen, diesen Spaß in Leistung umzusetzen, ist genau mein Ding. Dass dieses Konzept funktioniert, macht mich glücklich. In der MotoGP geht das nicht, in der Moto3 nicht und in der Superbike-WM auch nicht. Aber in der Endurance mit einer großen Mannschaft bin ich glücklich, dass mein Prinzip funktioniert.“
Ihr seid auch seit 2010 Teil der BMW Familie. Wie wichtig ist die Unterstützung durch BMW?
Wolf: „Eigentlich liegt die Antwort ja schon in der Frage. Seit 2010 fahren wir mit der BMW S 1000 RR. Wir waren bei der Geburtsstunde dabei, als BMW uns für den Deutschen Langstrecken-Cup, den German Endurance Cup, mit Sportförderung unterstützt hat. Seit 2010, mit meinem ersten Team Jost Motorsport, über rs speedbikes bis jetzt zu GERT56, setzen wir die BMW S 1000 RR ein. Wenn das Produkt Probleme hätte, würde man das nicht über einen so langen Zeitraum machen, und ich halte die BMW S 1000 RR für das beste Sportgerät und die preiswerteste Art, Motorsport zu betreiben. Das klingt zwar aufgrund der Verkaufspreise zunächst komisch, aber sie hatte schon immer alles inkludiert. Sie ist eines der wenigen Motorräder mir Race-ABS, sie hat eine Traktionskontrolle, BMW lässt die Kunden für wenig Geld auf das Steuergerät mit dem Race Calibration Kit, über den Partner alpha racing werden Kit-Teile angeboten, womit auch der Laie relativ schnell für die Rennstrecke adaptieren kann. Die BMW S 1000 RR hat den geringsten Aufwand, aus einem Serienmotorrad ein Sportgerät zu machen. Ein zuverlässiges Sportgerät. Und das hat zum Erfolg geführt, dass so viele Freizeit-Racer, Hobby-Racer aber auch Profi-Racer wie wir sich für dieses Paket entschieden haben. Wir unterliegen dem Superstock-Reglement, das heißt, wir fahren Serienmotor, Serienbremsanlagen, Serienrahmenteile, Serienelektronik – und dass wir mit einem solchen Serienmotorrad bis in die Weltspitze der Superbikes vordringen können, sowohl von den Rundenzeiten als auch von den Ergebnissen her: Ich denke, da muss man keinen Werbetext schreiben, da muss man nur Ergebnislisten lesen.“